Die hier veröffentlichten Texte entstanden im Rahmen der zweiten Midterms. Die Studierenden sollten eine Sammlung an Forderungen an die Architektur erstellen, die aus den Vorträgen hervorgegangen sind.
Das Schwarzbuch
von Julian Laib, Tom Seeger, Michelle Semder
(nicht in Safari nutzbar)
Forderungen an die Architektur
im Kontext der neuen
geosozialen Frage des 21. Jahrhunderts
von Jim Wolff, Annabelle Haas und Helene Kerst
ÜBERBLICK
In seinem terrestrischen Manifest erörtert Bruno Latour die geo-soziale Frage des 21. Jahrhunderts, die sich aus den Ent - wicklungen der Moderne ergeben hat. Der Glaube, die Natur überwinden zu können führte zu einer Differenzierung zwischen Natur und Gesellschaft. Diese unre - flektierte Modernisierung hat unsere Welt in ein massives öko - logisches Ungleichgewicht gestürzt. Mit dem zunehmenden Bewusstsein, dass dadurch unübersehbare Risiken entstehen, rückte die Erde wieder in das Zentrum des Diskurses. Es wird klar, dass eine Hinwendung zum Terrestrischen die klima - tischen und umwelttechnischen, sowie gesellschaftlichen Herausforderungen zu überwinden vermag. Mit der ökologischen Krise konfrontiert, stellen sich an jeden Teil des Systems neue Anforderungen, um eine zukunfsfähige Welt zu gestalten. Im Gespräch mit interdisziplinär agierenden Akteuren des Systems konnten wir aktuelle Aufgabenstellun - gen erörtern. Sie bilden einen Teil der Forderungen, die die Architektur im Kontext der geo-sozialen Frage zu bewältigen hat.
IDEOLOGISCH
ArchitektInnen entscheiden über die Beschaffenheit der Welt von morgen (von Bonin). Sie sind nicht nur irgendein Bestand - teil der Gesellschaft, sondern Personen, die den Raum bilden und gestalten und hohen Einfluss darauf haben, wie wir leben und wie klima- und umweltverträglich das ist (Hiltgartner). Sie müssen Inspiration werden im Denken und Handeln, indem sie der Spur der eigenen Sehnsucht folgen. Dies erfolgt auf auf allen Ebenen des Seins, indem die Trennung zwischen Körper und Geist aufgehoben wird. So können sie Führung - funktionen übernehmen und mit Demut und Vorsicht Vorbild werden. Der Mut zum Großen Denken spielt dabei eine besondere Rolle. Diese Aufgabe fällt vor allen Dingen der ju - gendlichen Generation zu, die mit kämpferischer Haltung den Etablierten wieder Mut machen kann (Kaufmann). Die Botschaft dabei lautet: Architektur muss größer gedacht werden, denn sie ist mehr als nur Design und Gestalt (Bier - wirth). Der Anspruch, Großes zu schaffen bedeutet dabei auch, sich vom Zwang des Fertig-werdens und der Unfehlbarkeit frei zu machen. Mut zum Scheitern aufzubringen. Effizienz und Funktionsarchitektur nicht über den Mut zur Ästhetik zu stel - len. Es muss sogar Überzeugungsarbeit gegen rein funktiona - 8 9 les Denken und Arbeiten geleistet werden (Schwarz). Wir müssen wieder ‚Kathedralen‘ bauen. Soll heißen, dass der Mut zur Größe sich nur durch den Glauben an eine Sache einstellen kann. Diese Kathedralenfähigkeit kann durch die Ar - chitektInnen impliziert in der Gesellschaft aufkeimen (Guerot). Die Aufgabe des Künstlers ist dabei eine reizvolle Chance, einen Perspektivwechsel anzuregen. Vorschläge, wie das Bauen eine Möglichkeit werden kann, zu ‚Wahrnehmenden‘ zu werden, sind genauso Teil des Berufsbildes, wie das befödern und verstetigen des aktuellen Diskurses. Denn gute Architek - tur hat eine Energie inne, dass sie immer wieder in der Lage dazu sein, das einzufordern, wofür sie ursprünglich gebaut wurden (Schwarz). Von schnellen Lösungen, die das komplexe Problembe - wusstsein übergehen, ist abzusehen. Gerade den Fragen des Klimaschutzes muss eine höhere Aufmerksamkeit zugespro - chen werden. Dann muss die konkrete Umsetzung nur noch konsequent sein (Hiltgartner). Prinzipiell gilt es, die Fragestellung darüber, was der Mensch (auch im Kontext mit anderen Wesen und Dingen) tatsächlich braucht, zu beantworten (Schwarz) und nach Möglichkeits - räumen für Visionen zu suchen (Ritter).
SOZIOLOGISCH
Gewisse disziplinenübergreifende Fragen sollten gestellt werden. Zum Einen soll erörtern werden, inwiefern man in der Gesellschaft selbst Architektur machen kann. Das heißt durch architektonische Eingriffe soziale Gefüge zu bewegen und das Zusammenleben untereinander und mit der Welt an die ak - tuellen Bedürfnisse anzupassen. Zum Anderen muss sich die Architektur damit auseinandersetzen, ob sie, so wie sie tradiert besteht, tatsächlich noch auf den Menschen ausgerichtet ist (von Bonin). Sozialwissenschaftliche und psychologische Belange können Hinweise darauf bieten, weshalb manche öffentliche Räume funktionieren, während andere dies nicht tun (Bierwirth). Auch im Hinblick auf die sinnvolle Anordnung von Siedlungs - strukturen und sozialen Milieus herrscht ein Wunsch nach der Anbindung sozialer Siedlungen an wohlhabendere Stadtberei - che (Zürn). Eine Durchmischung von verschiedenen Mitgliedern der Ge - sellschaft, sowie generationenübergreifendes Wohnen muss viel intensiver in den Planungsgedanken eingewoben werden (Analogie: Republik) (Guerot). Die Verwirrung sozialer Räume, statt deren räumlicher Segmentierung (bis hin zu gated com - munities) ist eine Dimension, die in historischen Beispielen 12 13 wie Berlin Zehlendorf (Bruno Taut) bereits Anwendung fand. Da die Wohnumgebung für die Zukunftschancen eines Kindes eine weitaus größere Rolle spielt, als die Ausbildung der Eltern, findet sich hier der Schlüssel zum Abbau von Ungleichheiten und Armut. In diesem Bereich hat die Architektur die Aufgabe, vehement gegenzusteuern. Diese kulturelle Dimension des Konfliktes bildet die Spaltung in tradiertes Bauen und avantgardistische Bauten ab. Solche Positionen müssen zukünftig überwunden werden (Zürn). Um dieses Zusammenleben zu erreichen werden die ArchitektInnen dazu verpflichtet sein, über unseren Habitat nachzudenken. Schlußendlich bieten sie eine räumliche Manifestation gesellschaftlicher Prozesse, die es in erster Linie zu analysieren und demokratisieren gilt (Schwarz).
POLITISCH RECHTLICH
Um nicht von mangelhaften geltenden Bestimmungen abhängig zu werden, sollten neue Standards erzwungen werden, indem man sich widersetzt (Kaufmann). Wenn die Überzeugung zu wissen, dass eine Sache mangelhaft ist nicht ausreicht, dann sollten Vorgaben getroffen werden. Wichtig ist hierbei zu organisieren, dass diese auch akzeptiert werden. Die Frage, ob es sinnvoll ist, die Marktmechanismen aus dem Wohungsmarkt zu nehmen, gilt es zu prüfen (Zürn). Solche Regelungen könnten temporär beschränkt eingeführt werden, um eine Adaption zu provozieren (Wilts). Schließlich sind Klagen zwar ein gutes Mittel, um Potentiale zu bewerten, allerdings haben sie nicht die selbe Aussagekraft wie ein verbindlicher Rechtsspruch (Hiltgartner). Unter Anderem muss damit begonnen werden, ordnungs - rechtliche Regularien von Kontraproduktivem, wie der Stell - platzregulierung zu befreien. Das gesamte Ordnungsrecht mit seinen DIN-Normen bedarf einer Überarbeitung. Es sollte ermöglicht werden, den finanziellen Druck aus der Kom - munallogik zu nehmen. Hier können Anreize durch Wohn - flächenmoratorien und Wert-Setzung nicht bebauter Flächen entstehen. Auch im Gebäudebereich sind Förderungen zu energetischer Beratung vorzusehen (Bierwirth).
NACHHALTIG
Bei der Planung gilt es, dass über die aktuelle Generation hinaus auch für die Folgende gesorgt ist. Was allerdings nicht bedeutet, dass ein Gebäude den Anspruch an die Ewigkeit erheben sollte. Stattdessen wäre es wünschenswert, keine Spuren über mehr als drei Generationen hinweg zu hinterlas - sen (Ziebritzki). Man muss sich stets der Dauerhaftigkeit seiner Handlungen im großen Gesamtzusammenhang stellen und sich seiner Verantwortung bewusst sein, was man im Folgenden hinter - lässt (Toussaint-Teachout). Das gilt sowohl für Gebäude, als auch Materialien (Ziebritzki). Bei der Wahl dieser Materialien und deren baulicher Um - setzung ist es daher relevant, sich von Beginn an mit den Potentialen der Ressourcenverläufe zu beschäftigen. Dabei gilt: es geht um die Menge der Ressourcen, die sich in diesem Kreislauf befinden. Je kleiner diese ist, desto besser. Dies ließe sich durch das etablieren von Bauteilbörsen (vgl. Bremen) in Gang setzen (Wilts). Um wirklich nachhaltig zu planen muss bewusst sein, dass man nicht nur für den aktuellen Zustand baut, sondern man sich zukünftigen, nicht voraussehbaren Ereignissen stellen und diesen ihren Platz einräumen sollte (Spiegl). Vor allem 18 19 die Widerstandsfähigkeit gegen natürliche Ereignisse oder Katastrophen sollte nicht ob der Optik von Oberflächen in Ver - gessenheit geraten (Funke). Allerdings sind auch nur jene Räume und Bauten sinnvoll, die in ihrer aktuellen Situation eine aktive Nutzung erfahren (Bier - wirth). So wurde in der Corona-bedingten Isolation sichtbar, wie variabel die Anforderungen an den Lebensraum sind. In diesem Bereich steigen die Anforderungen an die Architektur stark an, sodass eine nachhaltigere Planung deutlich mehr gefordert sein wird. Der Neigung der Planer, aufkommenden Problemen mit schnellen, technischen Lösungen zu begegnen, sollte dann Einhalt geboten werden, wenn sie nicht in der Lage sind die langfristig dadurch entstehenden Konflikte zu lösen. Auch wenn Probleme, im Alter durch den Klimawandel anfallen, heutzutage sehr abstrakt erscheinen - ohne diesen Weitblick wird keine sinnvolle und nachhaltige Planung stattfinden (Hiltgartner).
KOOPERATIV
Um totalitäre Neuerungen zu vermeiden, ist es wichtig, sich mit seiner Vision im Austausch mit Anderen zu befinden. So entsteht gegenseitige Inspiration und Raum für gemeinsame Initiativen, die zu einer kollektiven Souveränität führen. Der Mut, eigenverantwortlich für diese Visionen Sorge zu tragen ist dabei unabdingabr (Kaufmann). Solche partizipativen Räume sind allerdings nach wie vor elitäre Tendenzen, Um eine für alle Gesellschaftsmitglieder wirksame Partizipation zu ermöglichen müssen diese Räume ohne Stratifikation, anstatt nur in kulturell gehobenen Einrich - tungen, angesiedlet werden (Zürn). Die Rolle, die den Archi - tekten dabei zukommt, ist die, solche Kooperationsräume zu bilden (Wilts). Sie haben die Möglichkeit und sogar die Pflicht, gängige Pla - nungsvorgänge neu zu gestalten. Wenn Hierarchien ausgeflöst und neu gedacht werden, können alle Mitglieder der Gemein - schaft Prozesse anregen. Sie können klar bestimmen, was wirklich gebraucht wird. Die Teilnahme und Koordination eines solchen kommunikativen Prozesses zeugen von hohen An - sprüchen, die an die eigene Arbeit gestellt werden. Am Anfang eines Entwurfs steht also ein Diskurs. Dieser wird angeregt, bevor die Fragen zu technischen und baulichen Be - 22 23 langen beantwortet werden. Somit hat jeder, der involviert ist die Chance, Themen im Bezug zur übergeordneten Fragestellung anzubringen (Schwarz).
INFRASTRUKTURELL
Ob der Architekt dazu in der Lage ist, Entscheidungen in ökologischen Fragen voranzutreiben, ist schwer zu beantworten. Die Forderung an die ArchitektInnen, den Primus der Autofahrer zu beenden und im städtischen Kontext autofrei zu werden, besteht dennoch (Guerot). Es gilt, die Siedlungsstrukturen zu verdichten und Angebote, wie die Arbeitsplatzsituation, kommunaler bereitzustellen (Hiltgartner). Wenn die Entscheidung zum Abbau von Individualverkehr gesellschaftlich oder staatlich begünstigt werden, so hat der Architekt die Aufgabe, Wege zur Entsiegelung zu finden, ohne dabei Entscheidungsträger zu sein (Zürn). Dabei soll die Architektur eine größere Offenheit für integrierte Planung mit Infrastruktursystemen aufweisen, anstatt sich primär auf das Gebäude zu reduzieren (Wilts).
RÄUMLICH
Eine klimaverträgliche Bebauungs- und Raumstruktur zu schaffen hat Priorität. Die Nachfrage nach privaten Grün - anlagen ist durch die Isolation im Zuge von COVID-19 stark gestiegen. Hier haben die ArchitektInnen die Pflicht, sich damit auseinanderzusetzen. Das Bewusstein für das städtische Mikroklima lässt im aktu - ellen Planungsprozess zu Wünschen übrig. Der Einsatz von kleinen, verteilten Grünanlagen hat hier hohe Relevanz. Im Zuge des erhofften Entindividualisierung des motorisierten Individualverkehrs sollen Stellflächen entfallen und Parkspu - ren umgenutzt werden. So können Windschneisen entstehen, die als linearer Grünraum eine Kühlwirkung auf versiegelte Flächen ausüben. xIn der Raum- Stadt- und Wohnsituation müssen aufgrund aktueller Ereignisse die Auswirkungen der Arbeitsplatzsitua - tion neu evaluiert werden. Vor allem die Wohnbedingungen im Zuge steigender Nachfrage des Arbeitens von zu Hause aus sind zu erforschen (Hiltgartner). Für den öffentlichen Raum ist darüber hinaus die Frage inte - ressant, welche Funktionen er benötigt, um lebendig, trans - parent und kommunikativ zu werden. Die gängigen Standards sollten hinterfragt werden in Bezug darauf, was ästhetisch und 28 29 funktional verlangt wird. Auch die Tendenz, nicht-technische Lösungen anzubieten ist wünschenswert. In der Relation von physischem zu virtuellem Raum, müssen die Übergänge ver - standen und gestaltet werden (Schwarz). Man muss sich bewusst werden, dass die Gebäude nicht mit den Grenzen des Grundstücks enden. Da eine Inbesitznahme des Grundes eine dislozierte Reaktion mit sich trägt, sollte man sich damit auseinandersetzen, dieses Moment im Entwurf zu vergegenwärtigen (Spiegl). Gleichzeitig sollte darauf verzichtet werden, in klar definierten Bildern zu denken. Stattdessen braucht es räumliche Visionen, die in sich stimmig sind (Ritter). In Bezug auf die Grundrissgestaltung wird gefordert, dass Raumprogramme flexibler gestaltet werden, um neue Bedrüf - nisse aufzufangen (Bierwirth). Bei der Materialwahl besteht der Wunsch, sich von Glas, Stahl und Beton zu distanzieren, um wieder identitätsstiftende Materialien zu verwenden (Guerot).
INDIVIDUELL
Politik muss auf allen Ebenen, bis hin zur Einzelperson stattfinden (Bierwirth). Dementsprechend soll der Architekt sich nicht auf seine Identität als Architekt beschränken, sondern auch an den Menschen in sich appellieren. Die Frage, die jeder einzelne Gestalter zu beantworten hat ist jene, was genau er in dieser Welt eigentlich zu gestalten versucht (Toussaint-Teachout). Wer weiß, was ihn antreibt und was der Sinn seines Handelns auf der Erde ist kann seine Forderungen auch sichtbar machen (von Bonin).
FRAGENKATALOG
Wie kann man im Entwurf das dislozierte Moment vergegen - wärtigen? Welche Befindlichkeit und Raumempfinden habe ich wo? Wie könnte jeder Ort ein disloziertes Pendant mit sich tragen? Wie kann Suffizienz in behördlich geregelten Bauten verank - tert werden? Welches Raumprogramm brauche ich? Warum funktionieren manche Plätze und andere nicht? Wie lässt sich die Vorgabe begründen, auf Raum zu verzich - ten? Reicht die Überzeugung zu wissen, dass es so nicht weiterge - hen kann schon aus? Kann oder sollte man den Wohnungsmarkt aus dem Markt herausnehmen? Woher bekomme ich mein Material? Wie kann man die Materialien im Kreis führen? Ist der Gebäudesektor auf den Menschen ausgerichtet? Für wen baut man? Was steht dabei im Mittelpunkt? Für welchen Zeitraum wird gebaut? Wie nachhaltig wird gebaut? Wie kann man Architektur in der Gesellschaft machen? 34 35 Was ist zeitgemäß? Wie leben wir in der Gesellschaft und mit der Erde zusam - men? Was wollen wir in der Welt eigentlich gestalten? Was treibt mich an? Was ist der Sinn auf dieser Erde für mich? Was kann ich verantworten zu hinterlassen? Wird bei Fassaden mehr für die Optik oder die Widerstands - fähigkeit gemacht? Was braucht der Mensch im Zusammenhang mit anderen Wesen und Dingen, die da sind? Wer sollte in die Planung mit einbezogen werden? Wie sieht der öffentliche Raum aus? Welche Funktionen braucht er, um lebendig, transparent und kommunikativ zu bleiben? Wie wollen wir im Leben dargestellt werden? Wie funktionieren soziale Prozesse? Wer soll sich wehren, wenn nicht man selbst? Darf man das? 36 37
NACHWEISE
Aufzeichnungen der Digital Lounge im Rahmen der Lehrveranstaltun ‚Denken Sie Gross‘ mit folgenden Gästen: (15.04.2020) Eberhard Schwarz (20.04.2020) Sina Kaufmann (22.04.2020) Michael Zürn (23.04.2020) Johanna Ziebritzki (27.04.2020) Charlotte von Bonin (27.04.2020) Nisha Toussaint Teachout (06.05.2020) Ulrike Guerot (11./14.05.2020) Gernot Ritter (13.05.2020) Guido Funke (20.05.2020) Henning Wilts (20.05.2020) Anja Bierwirth (25.05.2020) Andreas Spiegl (27.05.2020) Karin Hiltgartner Marcus Holzinger. (12.06.2018). Globalisierung war gestern. Zugriff: 07.06.2020, von https://www.soziopolis.de/lesen/ buecher/artikel/globalisierung-war-gestern/ Latour, Bruno (Suhrkamp) (2018) Das terrestrische Manifest, Berlin.
DAS WEIßBUCH
DER ARCHITEKTUR
-Eine Zusammenfassung der Abschlussfrage an die Studio-Gäste-
Die Disziplin der Architektur ist ein sehr weites Themengebiet, das neben klassischen
ingenieurtechnischen und ästhetischen Fragen auch politische, historische und sozialgesellschaftliche behandelt.
Umso wichtiger ist es, dass die Architektur in Kontakt mit den anderen Themengebieten und Wissenschaften tritt und in ein Dialog mit ihnen eingeht. Die Intension des Weißbuches ist es, die Rolle der Architektur in der Kritischen Zone, die neben dem Klimawandel auch Gesellschaft und Politik beinhaltet, mit KlimaaktivistInnen, PolitologInnen, JuristInnen und weiteren zu definieren. Damit bekommt das Verständnis für Architektur eine neue Bedeutung und man kann die Auswirkungen auf die verschiedensten Themengebieten besser einschätzen und diese letztendlich in den Entwurfsprozess mit einwirken lassen.
Auf die Frage, welche Forderungen man der Architektur stellen kann, reagierten die Studio-Gäste unterschiedlich, das mag auch daran liegen, dass die Experten, je nach
Themengebiet, einen anderen Bezug zur Architektur haben.
So ist es z.B. bei KlimaaktivistInnen, dass sie konkrete Forderungen formulieren können oder müssen, da sie offensichtlich die Menschheit zum schnellen Handeln drängen wollen, um letztendlich dem Klimawandel entgegenzuwirken. In leuchtenden Farben beschreibt Sina
Kaufmann wie man dem gegenwärtigen Mangel an Visionen widerspricht. Ihr Vorschlag wäre es eine Idee im Kollektiv zu entwickeln, damit sie zum gemeinsamen geistigen Eigentum wird. Die Beteiligung an Visionen soll demokratisiert werden, damit auf dieser Basis eine Vor
Denkerrolle entstehen kann, die demütig und verantwortungsvoll agiert.
An der Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass sie viel Wert darauf legt sich die Freiheit zu erkämpfen, um unberechenbar zu werden. Sie fordert konkret von der Architektur sich von der Normierung zu widersetzen und neue Standards festzulegen. Das soll heißen, dass man z.B. ein Bewusstsein für Werkstoffe entwickelt und die gängigen hinterfragt. Worauf sie hinaus will, ist es mutig und groß zu denken und eine Inspiration für andere zu sein in dem was man denkt und tut. Sie will die Massen dazu animieren, den eigenen Sehnsüchten nachzugehen und sie in Bürgerinitiativen umzusetzen.
An dem Punkt kann man eine Brücke schlagen vom Aktivismus zur Politik. Denn wie ein weiterer Studio-Gast, Ulrike Guérot, anmerkte entspricht der Wille des Volkes nicht immer bzw. unterliegt dem Willen der Eliten. Darin sieht sie eine Gefahr für die Demokratie in Europa. Was sie sich konkret von der Architektur wünscht sind Kathedralen. Im übertragenen Sinne bedeutet das, dass man groß denken, sich was trauen und eine große Idee
formulieren sollte, damit sie sich letztendlich in der Architektur manifestiert. Weiter fügte sie hinzu, dass wir momentan in einer Gesellschaft leben, die nicht „kathedralenfähig“ ist. “Sceptics don´t build cathedrals”.
Dieser Gedanke vereint natürlich die Idee der demokratisierten Visionen des Aktivismus mit der Politik. Wichtig ist, dass die formulierte Idee nicht totalitär ist. Ein System ist nur so gut, wie es andere zulässt. Geht man in den Aktivismus über, wie Karin Hiltgartner sagte, indem man beispielsweise mit Blockaden auf sich aufmerksam macht oder Klagen einreicht, sollte man jedoch bedenken, dass diese Mittel nur eine bestimmte Bevölkerungsschicht erreichen und somit nicht objektiv sind. Das liegt auch daran, wie Johanna Ziebritzky
anmerkte, dass man die geo-sozialen Fragen rund um den Klimawandel als einzelne Person nicht beantworten kann. Man kommt bei solchen Problemen nicht weiter, da man sie wegen dem persönlichen Umfeld nicht objektiv benennen kann.
Wird nun eine mutige und groß formulierte Idee einer Gemeinde in die Tat umgesetzt, kommt die Architektur ins Spiel. Hier entscheidet sich, ob überhaupt gebaut oder umgebaut wird, mit welchen Materialien gebaut wird, wie man eine Gesellschaft für den Bau mobilisieren kann, um die Handwerkskunst zu präsentieren; welchen Ort man in der Kritischen Zone auswählt und wie man den Bauprozess so gestaltet, damit das Gebäude auch für die nächsten Generationen geeignet ist jedoch nicht ewig den Boden versiegelt; und wie es sich letztendlich auf die künftige Gesellschaft auswirkt. Die Idee kann auch andere
Dimensionen annehmen und von der Architektur in die Politik und Stadtbaupolitik über gehen.
Hier liegt viel Verantwortung für die raumgestaltenden Menschen, die im großen wie im kleinen Maßstab entscheiden können, wie klimaverträglich wir leben werden können; die sogar indirekt durch smart gestaltete Grünflächen im Stadtraum Menschenleben retten können, da sie ein Mikroklima entwerfen können für kühlere Nächte; die auch Krisenzeiten wie jene von Corona mit bedenken können, indem sie den Homeoffice mit einplanen, wofür sie dichtere Siedlungsstrukturen entwerfen müssen und letztendlich Platz für terrestrische
Spielräume übrig lassen. Man erkennt an der Stelle offensichtlich, dass sich die Ansprüche an den Raum vermehren.
Jedoch ist der Raum hier nicht im analogen Sinne zu verstehen sondern kann auch in anderen Themengebieten wie der Politik und der Soziologie interpretiert werden. Die Idee, die aus einer von Politik geformten Gesellschaft entsteht, beeinflusst maßgeblich die Architektur und die Architektur beeinflusst wiederum die Gesellschaft und die Politik (oder steht sinnbildlich dafür).
Man sollte sich an der Stelle immer vor Augen halten, dass die Gesellschaft, die Politik und die Architektur von dem Menschen für den Menschen verwirklicht wurde und, dass es an jedem einzelnen liegt, seine Umgebung anhand des Weißbuches aktiv zu verändern.
Lilly Wellner, Kevin Elifov, Samuel Richter-Winter
Weißbuch der Architektur zur geo-sozialen Frage des 21.Jhdts. Kategorisierung, Auflistung und Beschreibung der “Forderungen an die Architektur” seitens unserer Lounge-Gäste.
JOHANNA ZIEBRITZKI . ULRIKE GUEROT . KARIN HILTGARTNER . EBERHARD SCHWARZ . GUIDO FUNKE . NISHA & LOTTE . HENNING WILTS . SINA KAUFMANN . ANJA BIERWIRTH . MICHAEL ZÜRN . GERNOT RITTER . ANDREAS SPIEGL
Im Folgenden finden Sie Aussagen, Meinungen und Expertisen von 12 Personen, mit völlig unterschiedlichen Hintergründen. Man könnte meinen, dass ihre Forderungen an die Architektur/ Menschen sehr unterschiedlich ausfallen sollten. Tatsächlich entsteht aber eine große Einheit, viele Aussagen werden wiederholt, oder einfach von einer anderen Seite aufgezogen, am Ende läuft alles auf ähnliches hinaus.
Wir müssen gemeinsam denken und dafür müssen wir mehr zusammenkommen. Großes entsteht nur wenn man Zusammenhänge beobachtet/ berücksichtigt – was einschließt Kleines zu beachten und Zusammenarbeit schätzt und fördert. Dabei ist Kleines genauso wichtig wie Großes, weil es im Zusammenhang miteinander steht.
Denken Sie Klein:
– Denken Sie klein! Wir kommen nicht weit, wenn wir uns den geosozialen Fragen des 21. Jhd. zuwenden wollen. Unser Tag hat 24h, wir sind kleine Menschen an einem bestimmten Ort, mit bestimmten finanziellen und emotionalen Einschränkungen. Ich kann die geosoziale Frage nicht benennen oder lösen.
– Denken Sie klein! Wie kann man Architektur mit einem möglichst klein gehaltenen Kreislauf betreiben? Die Menge der im Kreis geführten Ressourcen soll möglichst gering sein. Architekten werden dabei eine zentrale Rolle spielen.
Denken Sie Groß:
– Mut zum Groß denken, bestimmte Dinge sollten nicht mehr mitgemacht werden
– wieder Kathedralen bauen – Größe! – in die Höhe schauen. Wenn wir keine Skeptiker sein wollen, müssen wir Kathedralen bauen. Was sagt es denn über die Gesellschaft aus, dass wir nicht mehr in der Lage sind Kathedralen zu Bauen?
– Mut zum Neuen und Großen, nicht zur Effizienzarchitektur, Mut zum nicht fertig werden
– Handeln sie groß! “Sie müssen wieder Kathedralen bauen. Nur Tinyhouses reichen nicht.” Mut zur Größe, zu schönen Steinen und Handwerkskunst.
– Groß träumen, “Sceptics don’t build Cathedrals.”
– Viel in Bewegung bleiben…. neu Denken…. alle sensorischen Sinne Denken…
– Zukunftsorientiert und nicht vergangenheitsbewältigend
Gespräch:
– Diskurs und Gespräch sollte am Anfang stehen
– Begegnung zwischen Menschen fördern, Auseinandersetzungen und Dialog fördern – öffentliche Räume/Orte so gestalten, dass Begegnungen möglich sind.
– aufgeschlossene Diskussion, offenes Anhören anderer Themen und Meinungen
– miteinander in Gespräch und Auseinandersetzung kommen (Abschottung ist extrem gefährlich)
– Begegnung zwischen Menschen ermöglichen und befördern (Diskurs und Gespräch ermöglichen)
Allgemein:
– Architektur hat, mit seiner Aufgabe Raum zu bilden und zu gestalten, einen unfassbaren Einfluss darauf wie wir leben, wie umwelt- und klimaverträglich wir leben.
– Was wollt ihr in der Welt verändern? Was wollt ihr gestalten? Wie kann sich das auf die Architektinnenidentität auswirken?
-Probleme erkennen und sich darum kümmern, aus Ohnmacht und Übersättigung raus kommen.
– Weg vom modernistischen Idealzustand, im Prozess mit anderen Personen und Disziplinen gibt es genauso viel Gestaltungsspielraum, wenn nicht sogar mehr.
– Qualität statt Quantität.
– Architektur ist vom politischen nicht zu trennen, weil sie radikal einen Begriff von Raum vermittelt / artikuliert
– Architektur soll nicht nur Freiräume zulassen, sondern das Ferne inkludieren
– Wie weit ist Architektur sensibel für das Ereignishafte? – das Dislozierte in Räumen mit denken
Utopie:
– Man fordert eine Welt auf indem man Utopien macht
In der Stadt:
– Mikrogrünanlagen statt Autostellplätze, für Menschen und die Aufenthaltsqualität essentiell – genauso wichtig für das Klima
– Parkspuren für Fußgänger und Radfahrer freigeben
– Stadt muss so geplant werden, dass sie mit den Veränderungen des Klimas zurecht kommt (Windschneisen wichtig für Kühlung, so wenig versiegelte Flächen wie möglich, Grünanlagen) Vorgaben und Einschränkungen sind in anderen Bereichen viel vorhanden und müssen auch für das Klima gemacht werden.
– Wie viel Durchmischung gibt es in der Architektur? -Stadt wieder zur Stadt machen, Städte sollen autofrei werden- Architekten haben die Aufgabe der sozialen Durchmischung
– Stadt lebenswerter machen, Autoverkehr unterbinden, mehr für Fußgänger tun
– Architektur wird auf die Lebensplanung zwischen Stadt und Land einen wichtigen Einfluss haben (müssen wir immer wieder vor Hitze aufs Land fliehen?)
– Veränderungen durch die Coronakrise hat gezeigt wie wichtig Raumnutzung ist, Grünräume sind stark in der Nachfrage gestiegen.
– Verwirrung der Sozialen Räume, Städtebauliche Aufgabe
Wohnen:
– Potentiale des Homeoffice, die Wohnung muss aber auch dafür gemacht sein, es kann nicht alles in einem Raum statt finden.
– Alt mit Jung zusammen bringen. Soziales Zusammenwohnen.
– nachhaltige Architektur- und Raumplanung, Ansprüche an den Raum verstärken
Gestaltung:
– ihr gestaltet die Welt von morgen, ihr entscheidet, wie die Welt von morgen aussieht, wie sie aufgebaut und beschaffen ist
– terrestrische Spielräume / Spielplätze (wie würde sowas aussehen?)
– Energie des Gestaltens auf Gesellschaft ausweiten
– Architektur ist mehr als Design und Gestalt! Sozialwissenschaften, Psychologie, Warum funktionieren einig Dinge und andere nicht? Architektur muss genutzt werden!
– Schönheit in Abläufen finden und wie sie funktionieren
Planung:
– Kann das Gebäude noch mehr auf den Menschen ausgerichtet werden? Was steht im Mittelpunkt? Für wen ist es? Wie nachhaltig ist es?
– Keinen Masterplan machen. Keine abgeschlossene Dinge.
– Was ist öffentlicher Raum?
– Welche Art von Politik produziert welche Art von Privatheit? Dichotomie von Innen-Außen, Privat-Öffentlich
– Raum vorbereiten für Migration/ Diversität (Ventile bereithalten)
– Sozial verträgliches entwickeln
– Effiziente Nutzung der Gebäude
– Zusammenhänge reflektieren
– Wie sieht arbeiten und zusammenleben in der Zukunft aus?
Handlung:
– Nach der Krise aktiv entscheiden wohin wollen wir zurück, was wollen wir wieder aufbauen?
– Null Hektar Ziel (Neuausweisungen müssen an anderer Stelle kompensiert werden)
– Es gibt eine Spaltung des Bauens die die kulturellen Spannungen wieder gibt. Diese Spaltung soll überwunden werden.
– Durch das Bauen wieder mehr zu wahrnehmenden und hörenden Wesen zu werden
– Wiedersetzten, neue Standards schaffen (auch bei Materialien), größere Aufsässigkeit
– Führungsrolle übernehmen (vorsichtig formuliert) “Das Zepter in die Hand nehmen”
– Die Rolle der Jugend vertreten, als kämpferisch
– Es braucht manchmal die Ersten die sagen “Nö”
Gesellschaft:
– Gesellschaft verpflichten über Habitat nachzudenken. Was heißt es so zu wohnen/zu leben, um nicht zu “gated communities” zu werden?
– Wohnungsumgebung ist ausschlaggebend für die Chancen der Kinder, das ist der Schlüssel von Abbau von Ungleichheit über Generationen hinweg.
– Wie kann Architektur in einer Gesellschaft gemacht werden? Wie kann Architektur und Gesellschaft zusammenhängen? Wie leben wir zusammen, untereinander und mit der Erde?
– Wie können Straßen/Infrastrukturen gemeinsam getragen werden? – staatliche Souveränität übernehmen, gemeinsames Sorgetragen als Status quo
Struktur:
– Entwerfen hat nicht nur mit „guten“ utopischen Ideen zu tun, sondern mit Strukturen.
– Wir brauchen neue Kooperationsformen. Kein Akteur wird neue Lösungen alleine hinbekommen.
– Regularien von dem befreien, was kontraproduktiv ist
– Welches Raumprogramm brauche ich denn überhaupt?
– Ordnungsrecht entrümpeln, Was ist tatsächlich notwendig? (damit jetzige Entwicklungen nicht noch weiter befeuert werden, sondern sich in eine neue Richtung entwickeln können)
– stärkere Offenheit für integrierte Planung mit Infrastruktursystemen
– Abbau Individualverkehr, Wege finden für Entsiegelung von Architekten muss gefunden werden.
– Veränderung von privatem und öffentlichem Raum
– Puzzleteile, die zu einem größeren Ganzen führen
Mensch:
– Wir werden geprägt von dem was uns umgibt. Architektur hat einen großen Einfluss darauf, sie hat großes Entfaltungspotential.
– Antwort geben können: Was braucht der Mensch? im Zusammenleben mit allem anderen?
– Eine Antwort auf die Frage geben die alle relevanten Lebensbereiche betrifft “Was braucht der Mensch?”
Selbstfindung:
– Was treibt euch an? Was ist der Sinn eures Lebens? Was wollt ihr mit eurem Leben auf dieser Erde anfangen?
– Durch Selbstbeschreibung merken, wo man auf Herausforderungen trifft und nicht die Lösungen von jemand anderem übernehmen.
– Bewusstsein, dass wir uns in einem „Ist“ befinden und aus diesem heraus handeln.
– Neue Standarts schaffen – die Vereinfachung schaffen – und daraus sollte eine Selbstfindung resultieren
– Führungsfunktion und Vordenkerrolle übernehmen – Inspiration sein, indem man etwas tut
– eigenes Interesse ernst nehmen, Begeisterung folgen, Ursachen der Sehnsucht nachgehen
– Der Spur der eigenen Sehnsucht folgen
Nachhaltigkeit:
– So bauen, dass für die nächste Generation gesorgt ist, aber nicht für die Ewigkeit.
– Nichts bauen, was Spuren hinterlässt, die 2-3 Generationen überdauern.
– Wie führen wir etwas im Kreis? Was hat das für Effekte für Ressourcenverbräuche? Potentiale werden zu wenig genutzt
– klimagerecht/klimaveträglich bauen
– Gebäude, die auch in 20/30 Jahren noch funktionieren
– Gebäude müssen klimagerecht und klimaverträglich sein
Verantwortung:
– Was hinterlasse ich? Was kann ich verantworten zu bauen und in die Welt zu setzen?
– Diese Verantwortung von allen Seiten beleuchten!
– Sind verpflichtet über unseren Habitat nachzudenken und Überzeugungsarbeit zu leisten.
Von
Nele Esteban-Dettmar, Ronja Holweg, Jonas Stähle
WEIßBUCH
WAHRNEHMUNG
Sind wir noch fähig zu hören?
Wir sind rezeptive Wesen. Alles um uns herum bewegt sich, alles macht ein Geräusch, auch das Leiseste ist hörbar. Wenn wir wahrnehmen, zuhören, beobachten, verstehen wir: Wir stehen im Zusammenhang mit der Welt und sie mit uns. Bereits durch unser Dasein kommunizieren wir mit dem, was uns umgibt.
ERKENNTNIS
Ich bin Leben inmitten von Leben, das Leben will.
Allein durch unsere Existenz schränken wir die Existenz anderer ein. Unsere Handlungen haben Wirkung und Einfluss. Damit wird uns besonders als Architektinnen und Architekten eine besondere Verantwortung zuteil.
Wir formen Raum, wir bilden Gesellschaft, umrahmen Lebensrealitäten. Architektur ist mehr als Gestaltung. Sie ist Soziologie, Psychologie, Politik und Geografie.
Durch das Wahrnehmen erkannten wir: Wir sind Teil des Ganzen und es ist Teil von uns. Das bedeutet, dass wir nicht allein sind. Diese Erkenntnis führt uns zum Grundsatz des Gemeinschaffens. Niemand kann die geosoziale Frage für und mit sich selbst lösen. Expert*innen verschiedenster Wissenschaften versammelt euch, wir sind kommunizierende Wesen und wir wollen dieses Potential nutzbar machen. Wir wollen und können nicht allein entwerfen, denn wir haben wahrgenommen und erkannt:
Wir sind Teil, das bedeutet alles steht in Abhängigkeit zu anderem, das bedeutet wir haben Einfluss, das bedeutet wir haben Verantwortung, das bedeutet: Keine Teilnahme am Diskurs ist zwecklos.
Wir stehen vor der Frage: Was brauchen wir und worauf können wir verzichten?
Visionen müssen nichts Abgehobenes sein, sie manifestieren sich im Grunde in etwas sehr Bodenständigem. In dem, was wir als Wahrnehmende inmitten von Wahrnehmenden haben wollen.
AKTION
Abhängigkeiten benennen:
Wir stellen uns gegen das Leugnen der Zusammenhänge, die uns mit der Welt verbinden und unsere Lebensrealitäten formen. Wir sind abhängig und anderes ist abhängig von uns. Diese Abhängigkeiten müssen wir in einem ersten Schritt benennen und beschreiben.
Verantwortung übernehmen:
Als Architekt*innen wird uns die Aufgabe zuteil gesellschaftliches Zusammenleben zu materialisieren. Wir sind damit verantwortlich für die Beantwortung der Frage was wir aufbauen und hinterlassen wollen. Wir sind Subjekte und müssen die Konsequenzen unseres Handelns erkennen: Wollen wir Erfüllungsgehilf*innen der Mächtigen sein oder politisch und wirtschaftlich produzierte Konventionen durchbrechen? Wir müssen hinterfragen für wen wir arbeiten und welche Ideale wir selbst und Auftraggebende vertreten. Der Gestaltungsspielraum der Zukunft ist von der Gegenwart abhängig. Übernehmen wir also die Rolle der Vordenkenden in einem kollaborativen Diskurs!
Interdisziplinär arbeiten:
Die geosoziale Frage kann nur in der Zusammenarbeit mit verschiedensten Disziplinen erfolgen. Diese Arbeitsweise
erfordert neue Planungsstrukturen, die die Verschiedenheit der Standpunkte nicht als zu bewältigend, sondern als Ermöglichung begreift. Einzig durch die Zusammenführung verschiedener Perspektiven können wir die Bogenspannung zwischen dem Ist-Zustand und dem Idealzustand konstruktiv nutzen.
Planungsstrukturen sind künstlerisch-entwerferisch. Unsere herkömmlichen Methoden erzeugen zeit- und machthierarchische Strukturen, die der Komplexität unserer Welt nicht gerecht werden. Wir verabschieden uns von der Autonomie und begrüßen die Vielfalt, erkennen die Schönheit in Strukturen, im Zusammenführen. Im Diskurs verknüpfen wir Elemente aus verschiedenen Utopien und bewegen so unser Ziel kontinuierlich in Richtung Idealzustand und verlieren es nicht schon zuvor. Der unermüdliche Abgleich mit dem Ist darf hierbei nicht verloren gehen. Diesen Prozess gilt es kompositorisch zu entwerfen.
Standards widersetzen:
Politik und Wirtschaft produzieren bestimmte Bilder von Zusammenleben, die sich in Bedürfnissen nach Privatheit, Eigentum, Autonomie und in Standards äußern. Wir wollen Gesetzestexte entrümpeln von kontraproduktiven Regelungen, die einem guten Leben für alle widersprechen. Dazu gehört beispielsweise die Abschaffung der Stellplatzregelung, das Verbot des Autoverkehrs in Städten, das Hinterfragen der Neuausweisung von Bauflächen. Wir stellen Normen und Spezifikationen in Frage. So entfernen wir uns von einer reinen Funktionsarchitektur, die den Zweitwohnsitz ‚Tiny House‘ als ultimativen Wohnwunsch preist.
Zusammenleben gestalten:
Im Gegensatz zur reinen Funktionsarchitektur müssen wir uns damit auseinandersetzen, wie unsere Architektur zu Kommunikation und Wahrnehmung beitragen kann. Was wir durch kollaboratives Arbeiten bereits tun, muss im Entwurf genauso möglich sein. Soziale Interaktion, Durchmischung, Umschichtung, Partizipation und Demokratisierung. Wir stellen uns gegen soziale und räumliche Segmentierung und setzen uns für Begegnung und fließende Übergänge ein. Die Klassifizierung von Öffentlichem und privatem Raum hinterfragen wir und setzen uns für das Teilen als Maxime der Raumnutzung ein. Denn nur was dauerhaft genutzt wird, ist auch nachhaltig. Für das Teilen von Raum gilt es Raum ressourceneffizient zu nutzen und Bestand zu aktivieren. Dabei müssen das nebeneinander, nacheinander und miteinander stattfindende Raumnutzen als Zielsetzung betrachtet werden.
Das Große im Kleinen und das Kleine im Großen denken:
Da das Kleine und das Große zusammenhängen, müssen wir sowohl im Kleinen als auch im Großen denken. Das Leben auf der Erde basiert auf dem Austausch von Verbrauchtem, das mit Gebrauchtem im Einklang steht. Die geosoziale Krise ist Ergebnis eines Ungleichgewichts zwischen endlichen Rohstoffen und unendlichem Verbrauch. Wir bestreben einen möglichst kleinen Kreislauf, in dem Ressourcen genutzt und wiederverwertet werden. Im Zuge dessen stellen wir uns erneut die Frage nach der Nutzbarmachung von Bestehendem, der radikalen Reduktion neu eingesetzter Ressourcen und dem Teilen. Infrastrukturen des Ge- und Verbrauchs müssen wir in das Entwerfen miteinbeziehen, genauso wie alle anderen Zusammenhänge, die uns die Moderne auszublenden gelehrt hat.
Um uns von der schieren Größe der Fragestellung nicht ausbremsen zu lassen erkennen wir an, dass wir weder fertig werden können noch wollen, aber anfangen müssen. Jede Änderung hat Einfluss. So haben in Städten sowohl kleine versiegelte als auch begrünte Flächen oder unscheinbare Windschneisen Einfluss auf das lokale Mikroklima. Wir beginnen dislozierte Räume mitzudenken und verändern damit zunächst unser Verständnis von Architektur und von Welt und anschließend unsere entwerferische Praxis. Dazu zählt auch die Verankerung des Ereignishaften in die Planung. Es geht hierbei nicht darum Unvorhersehbarkeit in einer Künstlergenialität zu romantisieren, sondern zunächst einmal Improvisation als konstruktiven Umgang mit Situationen anzuerkennen.
Architektur, die Raum für Improvisation lässt, liefert Raumprogramme in denen kulturelle Herkunft keine Rolle spielt und Zusammenhänge sichtbar und notwendig werden.
Chancen nutzen und gestalten:
Das Digitale ermöglicht uns Zusammenhänge zu durchleuchten, Informationsflüsse mit Materialflüssen zu verknüpfen und Prozesse nachzuvollziehen. Wir müssen uns für die Demokratisierung und Dezentralisierung dieser Daten einsetzen und sie als Gemeingut betrachten. Wir müssen uns dazu ermächtigen diese Daten zu nutzen um uns und die Welt besser zu verstehen oder wir können sie weiterhin anderen zur Verfügung stellen, damit sie uns manipulieren. Wir stehen vor der Entscheidung: Gestalten wir im Rahmen der geosozialen Krise eine Welt der Segmentierung oder der Vergemeinschaftung.
von Xaver Jahn, Johanna Kurz, Alisa von Postel, Simon Ruof